Der Weihnachtsabend by Charles Dickens

Der Weihnachtsabend by Charles Dickens

Autor:Charles Dickens [Dickens, Charles]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: English literature 1800


Drittes Kapitel. Der zweite der drei Geister.

Scrooge erwachte mitten in einem tüchtigen Geschnarch und setzte sich in dem Bette in die Höhe, um seine Gedanken zu sammeln. Diesmal hatte niemand nötig, ihm zu sagen, daß es gerade Eins sei. Er fühlte, daß er gerade zu der rechten Zeit und zu dem ausdrücklichen Zwecke erwacht sei, eine Konferenz mit dem zweiten an ihn durch Jakob Marleys Vermittlung abgesandten Boten zu halten. Aber bei dem Gedanken, welche seiner Bettgardinen wohl das neue Gespenst zurückschlagen würde, wurde es ihm ganz unheimlich kalt, und so schlug er sie mit seinen eigenen Händen zurück. Dann legte er sich wieder nieder und beschloß, genau aufzupassen, denn er wollte den Geist in dem Augenblicke seiner Erscheinung anrufen, und wünschte nicht überrascht und erschreckt zu werden.

Leute von keckem Mute, die sich schmeicheln, es schon mit etwas aufnehmen zu können, und immer an ihrem Platze zu sein, drücken den weiten Bereich ihrer Fähigkeiten mit den Worten aus: Sie wären gut für alles, vom Brotessen bis zum Menschenverschlingen; zwischen welchen beiden Extremen ohne Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zur Darlegung ihrer Kräfte liegt. Ohne gerade zu behaupten, daß Scrooge es so weit gebracht hätte, muß ich doch von dem Leser den Glauben fordern, daß er auf ein recht schönes Sortiment von Erscheinungen gefaßt war, und daß nichts zwischen einem Wickelkind und einem Rhinoceros ihn sehr staunen gemacht haben würde.

Eben weil er auf fast alles gefaßt war, war er nicht vorbereitet, nichts zu sehen; und so, als die Glocke Eins schlug und keine Gestalt erschien, überfiel ihn ein heftiges Zittern. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber es kam nichts. Die ganze Zeit über lag er auf seinem Bett recht in der Mitte eines Stromes rötlichen Lichtes, welches sich über ihn ausgoß, als die Glocke die Stunde verkündigte; und welches, weil es nur Licht war, viel beunruhigender als ein Dutzend Geister war, da es ihm unmöglich war zu erraten, was es bedeute oder was es wolle. Ja, er fürchtete zuweilen, er möchte in diesem Augenblick ein merkwürdiger Fall von Selbstentzündung sein, ohne den Trost zu haben, es zu wissen. Endlich jedoch fing er an zu denken, daß die Quelle dieses geisterhaften Lichtes wohl in dem anliegenden Zimmer sein möge, aus dem es bei näherer Betrachtung zu strömen schien. Wie dieser Gedanke die Herrschaft über seine Seele bekommen hatte, stand er leise auf und schlürfte in den Pantoffeln nach der Thür.

In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf den Drücker legte, rief ihn eine fremde Stimme bei Namen und hieß ihn eintreten. Er gehorchte.

Es war sein eigenes Zimmer. Daran ließ sich nicht zweifeln. Aber eine wunderbare Umwandlung war mit ihm vorgegangen. Wände und Decke waren ganz mit grünen Zweigen bedeckt, daß es ganz aussah wie eine Laube, in der überall glänzende Beeren schimmerten. Die glänzenden, strammen Blätter der Stecheiche, der Mistel und des Epheus warfen das Licht zurück und erschienen wie ebensoviel kleine Spiegel. Eine so gewaltige Flamme loderte die Esse hinauf, wie dieses Spottbild eines Kamines in Scrooges oder Marleys Zeit seit vielen, vielen Wintern nicht gekannt hatte.



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